Venedig zum Vorbild nehmen
Hamburger Abendblatt, Rainer Müller
Stadtplaner und Architekten bereiten küstennahe Städte wie Hamburg auf den Klimawandel und den Anstieg der Meeresspiegel vor. Wenn die Deiche nicht mehr reichen, müssen radikale Maßnahmen her. In Venedig etwa stand der Markusplatz noch vor 80 Jahren rund siebenmal pro Winter unter Wasser – heute bereits 50-mal. Mit dem Bau des Milliardenprojekts Mose versucht sich die Stadt zukünftig vor dem Hochwasser, dem “Acqua Alta”, zu schützen: Schleusentore sollen bei herannahender Flut die schmalen Zugänge der Lagune von Venedig zur offenen Adria abriegeln.
“Auch Hamburg wird an einem solchen System nicht herumkommen”, sagt Hamburgs Oberbaudirektor Jörn Walter auf der ebenfalls “Acqua Alta” genannten Fachmesse für Klimafolgen und Hochwasserschutz Mitte November im CCH.
Durch die Begradigung und Vertiefung der Elbe hat sich der Tidenhub in Hamburg innerhalb von 100 Jahren von 1,50 Meter bereits auf 3,50 Meter erhöht. Entsprechend wuchsen die Deiche in die Höhe, um auch gegen Sturmfluten gewappnet zu sein. In Zukunft kommt aber der von Klimaforschern vorhergesagte Anstieg der Meeresspiegel durch die Erderwärmung dazu – mit Folgen für küstennahe Städte: 60 Zentimeter Anstieg werden für die kommenden Jahrzehnte erwartet, und “bis zum Ende des Jahrhunderts rechnen wir für Norddeutschland damit, dass Sturmfluten bis zu 1,10 Meter höher auflaufen können als heute”, sagt Insa Meinke, Leiterin des Klimabüros am GKSS-Forschungszentrum in Geesthacht.
In Wilhelmsburg oder der HafenCity stellt sich die Frage nach Hochwasserschutz besonders dringlich. Eine mögliche Antwort sieht Jörn Walter im “gebäudebezogenen Hochwasserschutz”, also in veränderter Architektur: In der HafenCity werden viele der neuen Häuser daher mit erhöhten Sockelgeschossen errichtet. Stelzenhäuser oder schwimmende Häuser kommen nach Walters Vorstellung für Hamburg auch infrage.
Die Internationale Bauausstellung (IBA) Hamburg präsentierte auf der Messe erste Konzeptideen für “Water Houses”, die bis 2013 als Prototypen in Wilhelmsburg entstehen sollen. Noch schneller, nämlich bereits im Januar, bezieht die IBA selbst eine schwimmende Geschäftsstelle im Müggenburger Zollhafen auf der Veddel. “Angesichts der besonders hohen Deiche auf der Veddel ist der Zugang und selbst der Blick auf das Wasser für die Menschen oft versperrt. Das IBA-Dock zeigt eine Möglichkeit, das Wasser trotzdem zu nutzen”, erklärt IBA-Projektkoordinator Hans-Christian Lied.
Mit flächendeckendem Bau schwimmender Häuser ist aber nach Einschätzung von Jörn Walter und Hans-Christian Lied in Hamburg nicht zu rechnen. “In den Niederlanden ist man da weiter”, sagt der Architekt Koen Olthuis. Er gilt als weltweit führender Architekt für schwimmende Häuser. Sein Büro “Waterstudio” in Rijswijk plant nicht nur Häuser, sondern ganze Siedlungen auf dem Wasser in den Niederlanden und China. “Schwimmende Häuser können vor allem helfen, den Siedlungsdruck an Land abzubauen.”
In den Niederlanden wird jetzt begonnen, durch die Flutung von Poldern neue Siedlungsfläche auf dem Wasser zu gewinnen. In den Niederlanden stehen häufig Gewächshäuser dicht an dicht in den Poldern und verschärfen durch die Oberflächenversiegelung das Hochwasserproblem. In der Gemeinde Westland werden jetzt die ersten Gewächshäuser demontiert, und “im Sommer beginnen wir mit dem Bau der schwimmenden Siedlung ,Citadel’ mit 60 Apartments”, kündigt Olthuis an. “Citadel” wird allen Komfort bieten wie Wohnungen an Land – einschließlich Tiefgarage. “Das ist wichtig: Bewohner dürfen nicht das Gefühl haben, auf etwas zu verzichten. Nur so wird schwimmende Architektur ein Erfolg.”